Problematische Überstunden-Praxen
Knapp die Hälfte der Teilnehmer gibt an, während der Grundbildung wöchentlich Überstunden leisten zu müssen – im Durchschnitt 2 Stunden pro Woche. Rund 10 Prozent berichten gar von täglich geleisteten Überstunden. Weitere 25,1 Prozent geben an, dass sie ohne Überstunden die Arbeitsaufträge nicht hätten bewältigen können. Albrecht bestätigt: «Dieser Trend ist durchaus besorgniserregend. Häufige Überstunden können sich negativ auf die psychische Gesundheit und den Erfolg der Lernenden auswirken.» So geben 17,1 Prozent der Lernenden an, dass sie das Leisten von Überstunden gelegentlich herausfordernd finden und weitere 2,8 Prozent, dass Überstunden eine starke Belastung darstellen. Hinzu kommt, dass ein beträchtlicher Anteil der Lernenden – immerhin fast 6 Prozent – dafür keine Kompensation erhalten hat, was gemäss Arbeitsrecht nicht erlaubt ist.
Mangelhafte BYOD-Policy und Beteiligung an den Schulmaterialkosten
Besonders ernüchternd ist die Feststellung, dass über die Hälfte der Lehrabgänger ihre eigenen Geräte bezahlen und in die Schule mitbringen mussten, ohne jegliche finanzielle Unterstützung ihrer Betriebe. Vor allem Lernende aus finanziell schwächeren Haushalten werden somit benachteiligt. «Das ist auf mehreren Ebenen problematisch», führt Albrecht fort. «Es darf nicht dazu kommen, dass sich junge Menschen gegen eine KV-Lehre entscheiden, weil sie nicht die Mittel haben, sich einen Laptop zu leisten, welcher den BYOD-Vorschriften der Berufsfachschule entspricht.» Die Haltung des Kaufmännischen Verbands Schweiz ist deshalb glasklar: Wenn ein Betrieb seinen Lernenden kein Gerät zur Verfügung stellen kann, haben die Betriebe die Kosten für die Anschaffung zu tragen.
Ähnlich steht es mit den Schulmaterialkosten: «Betriebe sollten nicht nur für Bücher oder andere physische Materialien aufkommen, sondern auch digitale Lernplattformen unterstützen», sagt Albrecht. «Leider geben knapp ein Drittel der Befragten an, dass ihr Betrieb kein einziges Schulmaterial bezahlt hat.» Bei weiteren 32 Prozent der Lernenden trugen die Betriebe die Kosten teilweise. Weniger als die Hälfte der Betriebe hat die gesamten Schulmaterialkosten übernommen.
Betriebe müssen ihre Fürsorgepflicht wahrnehmen
Für den Kaufmännischen Verband Schweiz besteht grosser Handlungsbedarf, vor allem hinsichtlich der neuen reformierten KV-Lehre. Lernende, die im Sommer 2024 ihre Ausbildung beginnen, müssen die Abschlussprüfungen alle unter der neuen BYOD-Policy antreten. Albrecht appelliert: «Wir fordern Betriebe auf, ihre Fürsorgepflicht entsprechend wahrzunehmen: Löhne von Berufseinsteigern müssen angehoben und Überstunden während der Lehre sollten, wenn immer möglich, verhindert werden. Wenn Letztere nicht vermieden werden können, müssen sie zwingend kompensiert oder ausbezahlt werden. Die Finanzierung von Schulmaterialien und BYOD-Geräten muss sichergestellt werden. Nur so kann garantiert werden, dass Jugendliche aus allen sozialen Schichten eine faire Chance auf eine KV-Lehre haben.» Um die BYOD-Situation zu klären und zu verbessern, hat der Kaufmännische Verband Schweiz das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI angeschrieben und um eine Stellungnahme gebeten.