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Natur & Umwelt
20.03.2024

Negative Emissionen trotz enormem Energieaufwand

Kohlenstoff und Wasserstoff aus Methan: Im Empa-Labor wird an einem Pyrolyseverfahren gearbeitet, das in einer Demonstrationsanlage im Tech Cluster Zug zum Einsatz kommen soll.
Kohlenstoff und Wasserstoff aus Methan: Im Empa-Labor wird an einem Pyrolyseverfahren gearbeitet, das in einer Demonstrationsanlage im Tech Cluster Zug zum Einsatz kommen soll. Bild: Empa
Aus der Wüste in die Schweizer Industriehalle: Im Rahmen der neuen Empa-Forschungsinitiative «Mining the Atmosphere» verfolgen Forschende das Ziel, erneuerbare Energie im «Sonnengürtel» der Erde zu ernten, einige Male umzuwandeln und über weite Strecken dorthin zu transportieren, wo sie benötigt werde. Ein Blick auf die Energie- und Treibhausgasbilanzen zeige, dass das Konzept zwar viel Energie benötige, könne aber insgesamt zu negativen CO2-Emissionen führen.

Die Industrie ist neben dem Gebäudepark und der Mobilität der drittgrösste Energieverbraucher der Schweiz, wie die Empa schreibt. Insbesondere Hochtemperatur-Prozesse in der Metallverarbeitung und der chemischen Industrie, die oft mit Erdgas betrieben werden, führen zu einem Endenergieverbrauch dieses Sektors von jährlich rund 22 Terawattstunden. Gemeinsam mit dem Tech Cluster Zug, dem Kanton Zug und über einem Dutzend weiteren Partnern hat sich die Empa 2022 zum «Verein zur Dekarbonisierung der Industrie» (VzDI) zusammengeschlossen. In diesem Rahmen wollen die Empa-Forschenden dazu beitragen, Hochtemperatur-Prozesswärme zu dekarbonisieren. «Die Dekarbonisierung nehmen wir dabei wörtlich», sagt Christian Bach, Abteilungsleiter Fahrzeugantriebssysteme der Empa. «Wir trennen durch ein Pyrolyseverfahren den Kohlenstoff im Erdgas vor der Verbrennung ab». Was bleibt, ist Wasserstoff, mit dem die industriellen Hochtemperaturprozesse betrieben werden können, und der abgetrennte Kohlenstoff in Pulverform, der für Anwendungen in der Bau- und Landwirtschaft weiterentwickelt werden soll. Eine entsprechende Demonstrationsanlage befindet sich in der Auslegungsphase und wird in den nächsten zwei Jahren in Zug aufgebaut. Der Wasserstoff wird dort dann im Emaillierungsofen der V-Zug AG genutzt.

Doppelte Sonneneinstrahlung

Verwende man anstelle von Erdgas synthetisches Methan, dann lassen sich über den ganzen Prozess sogar negative Treibhausgasemissionen realisieren. Und zwar deshalb, weil für die Herstellung von synthetischem Methan CO2 aus der Atmosphäre entnommen werde, das nicht mehr emittiert, sondern in Form von festem Kohlenstoff zur Verfügung stehe. Dass der gewaltigen Energiebedarf der Industrie durch eine inländische Produktion von erneuerbarem Wasserstoff oder synthetischem Methan decken könne, sei allerdings nicht realistisch, sagte Bach. Der Blick richte sich deshalb in die Wüstenregionen der Erde – dorthin also, wo im Vergleich zur Schweiz eine doppelt so hohe Sonneneinstrahlung pro Quadratmeter erfolgt.

Verwende man anstelle von Erdgas synthetisches Methan, dann lasse sich über den ganzen Prozess sogar negative Treibhausgasemissionen realisieren. Bild: Empa

Ziel: Hochtemperaturwärme mit negativen Emissionen

Die Herstellung von synthetischem Methan in der Wüste, der Transport nach Europa und die anschliessende Pyrolyse seien jedoch verlustbehaftete Prozesse. Entsprechend müsse die Energie- und Treibhausgasbilanzen des Gesamtprozesses genau unter die Lupe genommen werden. Christian Bach und sein Team haben mit Vertretern des VzDI die ganze Versorgungskette analysiert und mit anderen Verfahren verglichen. Als Vergleichswert dient eine Megawattstunde (MWh) Hochtemperaturwärme für die Industrie. Nutzt man zu deren Bereitstellung – wie bis anhin – Erdgas, sind dazu 1,2 MWh Primärenergie nötig, und es wird 288 kg CO2 (bzw. CO2-Äquivalente) ausgestossen. Die Primärenergie beinhaltet auch die Energie, die für die Förderung des Gases – zum Beispiel im Nahen Osten – und den Transport aufgewendet wird und berücksichtigt zudem die Verluste durch Methanschlupf. Etwa ein Fünftel der Emissionen entstehen bei der Bereitstellung des Erdgases, der Rest bei dessen Nutzung.

Wenn nun das Erdgas vor der energetischen Nutzung durch Pyrolyse dekarbonisiert und nur der dabei entstandene Wasserstoff für die Erzeugung der Hochtemperaturwärme genutzt werde, könnten die CO2-Emissionen insgesamt um 40 Prozent auf 178 kg gesenkt werden. Gleichzeitig steige aber der Primärenergiebedarf an, weil mehr Erdgas erforderlich würde und weil zusätzlich Strom für die Pyrolyse nötig sei. 1 MWh Hochtemperaturwärme würde in diesem Szenario 2,6 MWh Primärenergie benötigen.

Mehr Energie, weniger Emissionen

Wird nun anstelle von fossilem Erdgas erneuerbares synthetisches Methan verwendet, sinken die CO2-Emissionen tatsächlich in den negativen Bereich, allerdings steigt der Primärenergiebedarf weiter an. Die Bilanzierung beruht auf der Annahme, dass das CO2, das für die Herstellung des synthetischen Methans notwendig ist, mittels einer «Direct-Air-Capturing»-Anlage direkt aus der Atmosphäre gewonnen wird. «Dazu ist ein hoher Energieaufwand nötig», erklärt Christian Bach und nennt damit auch gleich den Grund, weshalb er sich solche Anlagen vor allem in Wüstenregionen vorstellen kann. Kommt dazu, dass auch die Herstellung von Solar- und Windkraftanlagen mit Emissionen verbunden ist. Berücksichtigt man all diese Faktoren, resultiert bei einer direkten Nutzung von synthetischem Methan für die Erzeugung von 1 MWh Hochtemperaturwärme ein Primärenergiebedarf von 3,5 MWh und Treibhausgasemissionen von 126 kg CO2. Trennt man nun allerdings mittels Pyrolyse den Kohlenstoff vom Wasserstoff ab und nutzt nur diesen Teil energetisch, wechselt die Emissionsbilanz ins Negative: Der gesamte Prozess führt zu negativen Emissionen von -77 kg CO2 – allerdings bei einem nochmals höheren Primärenergieaufwand von 6,2 MWh.

Der Primärenergieaufwand dieses Konzepts sei hoch – rund zweieinhalb bis drei Mal höher als bei der effizientesten Wasserstofferzeugung in der Schweiz, räumt Bach ein. Da aber pro Quadratmeter Photovoltaik in Wüstenregionen zwei bis zweieinhalb Mal mehr Strom erzeugt werden könne als bei uns, brauche dieser Ansatz kaum mehr Photovoltaik-Fläche. Eine Herausforderung seien die Kosten. Gelänge es jedoch, den Kohlenstoff als Rohstoff für nicht-energetische Anwendungen zu vermarkten, dann könnte der gesamte Prozess durchaus wirtschaftlich sein, ist Bach überzeugt.

Empa/mb